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In bleibender Erinnerung
Jeanne Lessenich
* 29. September 1942
† 09. Mai 2017

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Ich erkenne alles, verstehe aber nichts. Ein durchaus vorstellbarer Impuls beim Betrachten der Bilder von Eberhard Marx. Wer hier jedoch meint, alles zu verstehen, hat bestimmt nicht richtig hingesehen.

Eberhard Marx wünscht, der Betrachter möge in seinen Bildern spazieren gehen. Die Werke sind keine botanischen Gärten mit Beschreibungsschildchen, sondern eher ein verhexter Park.

Der Künstler hat es auf unsere Schwäche für Geheimnisvolles abgesehen. Das Geheimnisvolle, das sich unserem Erkenntnisdrang widersetzt, sich unserem Wissen entzieht, sich weigert, eine plausible Erklärung abzugeben. Das lässt uns nicht mehr los, fordert uns heraus. Wir lieben das Geheimnisvolle. Das Unergründliche zieht uns hinan oder auch hinab. In Abwandlung der berühmten Gedichtzeile von Gertude Stein heißt das für Marx: Das Geheimnisvolle ist das Geheimnisvolle ist das Geheimnisvolle. Und der Feind des Geheimnisvollen ist die Lösung des Geheimnisses. Ergo: Marx müsste von all seinen Musen verlassen sein, wenn er die Schlüssel für seine bildnerischen Rätsel mitliefert. Nein, er gibt uns keinen mit. Ganz im Sinne seines Ahnen im Surrealismus Rene Magritte: „Meine Malerei besteht aus sichtbaren Bildern, die nichts verbergen; sie beschwören das Geheimnisvolle... Das Geheimnisvolle wiederum meint auch nichts, es entzieht sich dem Wissen.“
Und doch sind die Bilder von Eberhard Marx kein absichtsloses Rätselwerk, keine in die Irre führenden Vexierbilder. Das Rätselhafte bei Marx ist auch eine Metapher für eine lächelnde Demut, dass unserer Erkenntnis und unserem Gestaltungswillen Grenzen gesetzt sind. Sie sind ein fröhliches Memento Mori - Ein Sei-dir-der-Sterblichkeit-bewusst.
Die Bilder beschwören eine duldsame Vanitas - versöhnliche Vergänglichkeit: „Tand, Tand ist alles Gebilde von Menschenhand“, wie Fontane seine Hexen keifen lässt.

Marx ist ein genießerischer Flaneur, der sich durch reale und gedankliche Schöpfungen treiben lässt. Für seine Werke findet er Motive auf den Schrottplätzen der Weltgeschichte: in den Maschinenmuseen für vergangene Antriebsenergien, in den Abfallgruben unserer gescheiterten Mythen, Erweckungsideen und Glaubenssätze, auf den Friedhöfen der Götter, auf den Müllkippen aufgeblasener Machtarchitektur, in den Depots für so martialische wie verlogene Propagandakunst, in der Unterwelt unserer unerfüllten Träume, in den unterbewussten Kasematten unsererTraumata. Das alles zimmert und schraubt der Künstler auf kargen, oft genug skurril gesteigerten Landschaften - ob aus Skandinavien oder Afrika - in seinen Leinwänden zusammen.
Aus Ruinen und geborstenen Fragmenten entstehen sich kraftvoll gebärende Provisorien, denen eigentlich jede Festigkeit abgeht, jede produktive Idee. Und doch strotzen sie vor Selbstbewusstsein. Der Gefahr nicht gedenkend, gaukeln sie ungebrochene Betriebsamkeit vor. Menschen halten sich in der Nähe dieser rustikalen Notbehelfe - wohl aus Sicherheitsgründen - so gut wie nie auf.
Und wenn ich unsere Wirklichkeit aus dem Blickwinkel dieser Bilder betrachte, schwant mir Fürchterliches: Unsere sozialen Sicherungssysteme funktionieren seit der Jahrtausendwende immer weniger. Wird nicht die parlamentarische Demokratie und Pressefreiheit durch extremes Dauerfeuer sturmreif geschossen? Vom Klimawandel ganz zu schweigen. Leben wir nicht längst in ruinösen, aber sich als beste aller Möglichkeiten gerierenden Provisorien und tun so, als ob dieser Zustand ewig halten wird?

Eberhard Marx größter Aha-Effekt für sein künstlerisches Schaffen war die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel. Und wenn wir die Bilder betrachten, sind sie fast alle improvisierte Turmbauten, groteske Denkmale des Größenwahns, auch - wie zu entdecken ist - aus gestürzten Denkmalen von ehemals Größenwahnsinnigen.
Marx‘Bilder erzählen mit grotesker Komik auch von der Überhebung des Menschen, gottgleich zu werden, um auf dem Weg dahin sein Mensch-Sein zu verwirken, vor allem, weil der Erdenbürger den Humor dabei verliert.
Ein Glück: Wie wir sehen, es gibt immer noch die Kunst, die uns die Chance gewährt, den Humor zu bewahren. Eberhard Marx nahezu grenzenlose wie abgrundtiefe Fabulierlust ist unstillbare, sinnenfreudige Lebenslust: „Mitgeteilte Lust ist Kunst“, feiert Nietzsche. Sie manifestiert sich bei Marx in
grillenhaft-grotesken Sujets. Hinter dieser Fabulier- und Rätsellustlust steckt jedoch noch etwas, was Rilke so beschreibt: „Das ist alle Kunst, die sich über Rätsel ergossen hat, - und das sind alle Kunstwerke: Rätsel, umgeben, geschmückt, überschüttet mit Liebe.“

Ralf Schleif, Rede in der
SPERLGALERIE zur Eröffnung der Ausstellung „Ölverlust im Weltgetriebe“ mit Werken von Eberhard Marx aus Remagen am Sonntag, dem 6.Oktober 2019

Die Laudatio